Flüchtlingshilfe im Mittelmeer

„Manchmal wünschte ich mir, weniger über ‚Flüchtlinge‘ als über ‚Menschen‘ zu reden“ (Nadia Kailoui)

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Am 26.10. waren wir, der Politik-Wirtschaft Kurs auf erhöhtem Anforderungsniveau von Frau Dr. Puckhaber, im Körber Forum, dem Veranstaltungsort der Hamburger Körber-Stiftung. Das Thema lautete: „SOS Méditerranée – Die Zivilgesellschaft rettet Geflüchtete im Mittelmeer“ und die Teilnehmer waren Kapitän Klaus Vogel und die Journalistin Nadia Kailoui, die inzwischen auch als Botschafterin für Méditerranée tätig ist. Beginn war um 19:00 Uhr.

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Die Begrüßung erfolgte durch den Vorstandsvertreter der Körber Stiftung Lothar Dittmer, der gleichzeitig in die Thematik einleitete. Dann wurde das Wort an die Moderatorin Claudia Brüninghaus weitergegeben. Zum Ende hin konnte das Publikum eigene Fragen an die Gäste stellen.

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Zurzeit sind weltweit ca. 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Das Phänomen ist nicht neu, aber es hat nun auch Europa erreicht. Da die europäische Politik mit der komplexen Situation überfordert scheint, muss nach Überzeugung der Anwesenden die Zivilgesellschaft ihren Beitrag leisten. Ein mögliches Beispiel, wie dieses aussehen kann, ist die Organisation „SOS Méditerranée“, die im Mai 2015 nach einigen Startschwierigkeiten auf die Beine gestellt wurde. Mit ihrem 77 Meter langen Schiff Aquarius haben sie bisher schon 5000 Menschen aus dem Meer von kleinen vollbeladenen Booten gerettet. Ihr Einsatzgebiet liegt, wie uns auf einer Karte gezeigt wurde, hinter der zwölf-Seemeilen-Zone vor der libyschen Küste. Die fehlende Einhaltung von Menschenrechten in Libyen leiste ihren Beitrag zur Massenflucht, die von der Küste dieses Staates her erfolge.
In einem kurzen Filmausschnitt aus der NDR Dokumentation von Kailoui „7 Tage – Retten auf dem Mittelmeer“ wurde uns gezeigt, wie der Alltag auf der Aquarius ablaufen kann. Interessant war es zu sehen, wie sogar die Journalisten angefangen haben mitzuhelfen, die Flüchtenden von einem überladenen und schlecht zusammengebastelten Boot auf der Aquarius aufzunehmen. Man konnte den geretteten Menschen die Erschöpfung ansehen, obwohl diese sogar verhältnismäßig früh von einem der Frachter auf dem Meer entdeckt worden waren, der die Rettungsleitstelle und damit die Aquarius informierte. Im gezeigten Ausschnitt überlebten alle, was leider keine Selbstverständlichkeit im Alltag der Crew ist.
Zur Crew des Schiffes gehören meist 30 Personen, darunter der Kapitän Klaus Vogel, mehrere erfahrene Seefahrer, sowie Retter und Unterstützer (auch viele ehrenamtliche) und ein medizinisches Team. Meist sind noch zwei Journalisten an Bord, wie dies in dem Film der Fall gewesen ist, als Nadia Kailoui mit einem Kameramann das Geschehen an Bord für drei Wochen verfolgten. Es sei wichtig, über den Einsatz zu berichten. Kailoui ist der Überzeugung, dass viele Politiker ihre kritische Haltung in der Flüchtlingsfrage ändern würden, wenn sie mal mit der Situation an Bord der Aquarius konfrontiert würden. Ihre Erfahrungen hatten sie dazu bewegt, Botschafterin dieser Organisation zu werden.
Ausschlaggebend für die Gründung der Organisation war vor allem der November 2014, als die EU in der Flüchtlingspolitik uneins war und kein EU-Mitgliedstaat Italien bei der Rettung der Flüchtenden aus dem Meer unterstützen wollte. Kapitän Vogel war tief schockiert von den Verhältnissen vor Ort und setzte alles daran, ein zivilgesellschaftliches Engagement zu zeigen, das nicht auf ein europäisches Land beschränkt ist. Er gründete Méditerranée, eine deutsch-französisch-italienische Organisation, die der Verzweiflung der Flüchtlinge mit der humanitären Überzeugung begegnet, dass kein Mensch den Tod durch Ertrinken verdient hat und das Asylrecht genau das ist: ein Recht.
Nach der Nennung einiger kritischen Stimmen an der Organisation, wie z. B. dem Vorwurf „solche Rettungen würden nur die Schlepper unterstützen“, konnten diese aus meiner Sicht überzeugend abgetan werden: „Die Schlepper würden die Menschen auch ohne Hilfsorganisationen, die auf die Menschen warten, auf die Boote prügeln. Dann würden ein paar Benzinkanister mehr aufgeladen und das Boot losgeschickt werden.“ So sei es auch früher schon vorgekommen, erklärt Kapitän Klaus Vogel. Die Boote seien so lange gefahren wie es möglich gewesen wäre, dann nur noch getrieben und irgendwann gekentert. Nur selten habe die europäische Öffentlichkeit davon erfahren.
Sogar im Winter höre der Strom der kleinen Boote nicht auf, weshalb SOS Méditerranée ihre Aufgabe auch in dieser Zeit nicht missachten möchte. Dabei ist die Organisation auf Spenden und Unterstützung von größeren Hilfsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ angewiesen. Die laufenden Kosten der Aquarius im Einsatzgebiet würden 11.000 Euro pro Tag betragen. Ein Großteil des Unterhalts sei für die nächsten Monate gesichert, aber es fehlen circa 40.000 Euro pro Monat. Dies war ein kleiner abschließender (und berechtigter) Appell an die Zuschauer, die sowohl im Saal als auch Online die Möglichkeit hatten, die Veranstaltung zu verfolgen, und durch Spenden einen kleinen Beitrag zur Rettung von Flüchtlingen leisten können.

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Ich fand es sehr gut, nach einem langen Schultag mal dem heimischen Schreibtisch den Rücken zuzukehren und mich auf diese Weise mit einem aktuellen politischen Thema auseinanderzusetzen. Mir hat diese Abwechslung gefallen und ich fand es beeindruckend zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit sich wenigstens ein Teil der Menschen für andere einsetzt.

Moritz K., Jg. 11