Buchpremiere “Im Namen der Völker”

von Benjamin Dürr im Körberforum

Am Mittwochabend bot sich wieder einmal die Möglichkeit, für die Schüler des Geschichtskurses und einigen Interessierten aus dem Politikkurs von Frau Puckhaber das Körberforum in Hamburg zu besuchen. Dieses Mal war der Völkerstrafrechtler und gleichzeitige Autor Benjamin Dürr eingeladen, um sein Buch “Im Namen der Völker – Der lange Kampf des Internationalen Strafgerichtshofs” im Gespräch mit Arnd Henze aus dem ARD Hauptstadtbüro vorzustellen.

Der Internationale Strafgerichtshof, der seinen Sitz in Den Haag hat, wurde am 17. Juli durch das Römische Statut gegründet und nahm seine Arbeit am 1. Juli 2002 auf. Sein Mandat basiert auf dem Völkerstrafrecht und umfasst die schwersten Vergehen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und neuerdings das Verbrechen der Aggression (Angriffskriege). Dabei werden nicht ganze Staaten, sondern Einzelpersonen, die Verantwortlichen angeklagt. Das Mandatsgebiet umfasst alle Mitgliedsstaaten, wobei auch die UN den IStGH (internationaler Strafgerichtshof) davon unabhängig mit der Ermittlung in einem Fall beauftragen kann. Nur dann kann der IStGH außerhalb der Staatsgebiete ihrer Mitgliedsstaaten aktiv werden und beispielsweise auch gegen Staatsangehörige der USA, Russland, der Volksrepublik China etc. ermitteln, die keine Mitglieder sind. Das Verfahren selbst muss nicht am IStGH durchgeführt werden, wenn die Staaten, deren Angehörige angeklagt sind, selbst ein entsprechendes Strafverfahren einleiten.
Derzeit sind noch 124 Staaten Mitglied des IStGH, aber vier afrikanische Staaten, darunter auch Südafrika, haben ihre Mitgliedschaft aufgekündigt, eine Kündigung, die in einem Jahr Gültigkeit erlangt. Darauf angesprochen erklärt Dürr, dass alle in Den Haag verhandelten Fälle bis auf einen sich gegen afrikanische Staatsangehörige gerichtet hätten. Der Vorwurf stünde im Raum, dass der IStGH ein „Gericht des Westens“ und „rassistisch“ sei. Die Herkunft der Angeklagten ließe sich nicht leugnen, allerdings verweist Dürr darauf, dass in vielen Fällen die jeweiligen afrikanischen Staaten den IStGH angerufen hätten, die Strafverfolgung aufzunehmen. Natürlich gäbe es auch völkerstrafrechtlich zu verfolgende Verbrechen in westlichen Nationen, nur diese würden entweder nicht Mitglied sein oder die Justiz ihres eigenen Landes damit betrauen. Es ließe sich allerdings auch nicht leugnen, dass der UN Sicherheitsrat durch die ständigen Mitglieder manche Überweisung an den IStGH verhindere. So sei es derzeit zweifelhaft, dass sich Assad jemals in Den Haag verantworten werden muss. Syrien ist kein Mitgliedsstaat und Russland hat kein Interesse, den syrischen Machthaber der internationalen Gerichtsbarkeit zu unterstellen. Afghanistan sei aber beispielsweise Mitglied und so würden auch Untersuchungen gegen US-amerikanische Soldaten geführt, denen ein völkerstrafrechtliches Verhalten auf afghanischen Boden zur Last gelegt werden. Dürr geht allerdings davon aus, dass die USA sich die Strafverfolgung vorbehalten werde. Die Aufnahme der Untersuchungen würde allerdings ggf. sicherstellen, dass die USA dementsprechend aktiv werden muss.


Nicht alle afrikanischen Staaten erheben kritische Stimmen gegen den IStGH. Botswana ist in Dürrs Augen ein Staat, der sehr aktiv den IStGH unterstütze. Auf Deutschland angesprochen, umschreibt Dürr die deutsche Rolle als eine des “stillen” Unterstützers, der v.a. auch finanziell fördere.
Eine Besonderheit des IStGH ist, dass es zeitlos handeln kann, also die Verbrechen kein Verfallsdatum haben. Die Ermittlungsverfahren beschreibt Dürr als oftmals schwierig, da diese vor allem aus Gesprächen mit Opfern bestehen. Jede Aussage wird durch drei weitere untermauert, um die Fakten verwenden zu können. Die Bereitschaft zur Aussage ist nicht immer gesichert und auch nicht unproblematisch. Einerseits sind viele Zeugen von Ereignissen traumatisiert. Andererseits befinden sie sich nicht selten in entlegenen Dörfern, in denen Fremde sofort auffallen und nicht alle Nachbarn mögen ein Interesse an der Aufklärung der Verbrechen teilen, wenn die Bereitschaft zur Aussage besteht. Es kommt vor, dass ein individueller Sicherheitsschutz geboten werden muss. Dazu gehört eine Vorbereitung auf die Reise nach Den Haag, Identitätsschutz der Opfer, durch zum Beispiel einen Vorhang im Gerichtssaal zwischen dem Zeugen und das Publikum, ggf. den Angeklagten, manchmal wird nur der Ton übertragen und im Zweifelsfall benötigt der Zeuge im Anschluss sogar eine komplett neue Identität für das weitere Leben.
Die Zeugen treten in Dürrs Erfahrung sehr unterschiedlich auf. Manche sind sehr emotional und benötigen auch psychologische Unterstützung während der Verhandlung. Andere erzählen sehr sachlich und auf das Wesentliche beschränkt. Hingegen seien die Täter meistens distanziert und würden auf Unschuld plädieren. Frei gesprochen sei aber bislang nur ein Angeklagter in Den Haag.
Die öffentliche Wahrnehmung der Arbeit des IStGH ist sehr unterschiedlich. Wenn der Zeitpunkt des Verbrechens noch nicht zu lange zurückliegen würde, sei das Interesse der Weltöffentlichkeit größer, wobei solche Verfahren generell eine abschreckende Wirkung hätten.
Der IStGH kann Strafen von einem Freiheitsentzug bis 30 Jahre verhängen, aber es stelle sich die Frage, ob die Verbrechen, die verhandelt werden, überhaupt gesühnt werden könnten. Bis zu einem gewissen Grad sei die Leistung des IStGH vor allem eine symbolische. Es würde die Wahrheit aufgedeckt und ein Zeichen gesetzt, welche weltweiten Werte und Normen gelten.

Abschließend betonte Dürr, dass Recht wohl immer an die Grenzen der Macht stoßen würde und es noch Zeit brauche, bis der Internationale Strafgerichtshof mehr Macht habe. Dürr präsentierte sich als kritischer Beobachter des IStGH, was ihn aber nicht daran hinderte, auch ein starker Befürworter dieser Institution zu sein.

Carolin S., Jg. 11