Wer erhält das Stipendium der Stiftung des deutschen Volkes?

Jedes Jahr erhalten die Schulen die Möglichkeit ihre besten Abiturienten für ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes vorzuschlagen. Das Gymnasium Buxtehude Süd ist fast jedes Jahr der Nominierung nachgekommen. Klar, denn die dortige Förderung ist quasi die A-Klasse der Stipendien. Wer es erhält, erfährt Exzellenzförderung pur. Und wer von der Schule vorgeschlagen wird, wird zu einer Auswahltagung der Studienstiftung eingeladen. Sollte er oder sie genommen werden, wirft das auch ein kleines positives Licht auf die Schule selbst. Sie hat ihren Job gut gemacht. Für viele eingeladene Hoffnungsvolle stellt das Auswahlseminar allerdings ein reality check insofern dar, weil die Besten der Besten ihrer Schule auf einmal feststellen, dass selbst eine herausragende Zensur nicht „so etwas Besonderes“ ist und auch ein gewisses Engagement in der Schülervertretung sie nicht von der Masse in diesem Kontext abhebt. Hier sind sie nur „ein Fisch“ unter vielen. Die Ansprüche sind hoch. Die Studienstiftung erwartet Leistung, Initiative, Verantwortung.
Insgesamt gibt es etwa 200 Auswahlseminare, in denen jeweils etwa 50 junge Menschen auf die Förderung hoffen. Im Durchschnitt freut sich etwa jeder Vierte zu recht. Die Nominierung für ein solches Seminar kann unterschiedlich erfolgen: ein herausragendes Abschneiden auf Bundesebene bei den großen Wettberben (Jugend forscht, Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten o.Ä.), der Schulvorschlag, aber auch eine Initiativbewerbung kann zu einer Einladung führen. Ein solches Seminar findet an einem Wochenende statt. Für viele ist es eine unvergleichliche Erfahrung. Kaum jemand der Teilnehmer hat nicht schon mal die Erfahrung gemacht, sich zurücknehmen zu müssen, um in sozialen Gruppen nicht (zu sehr) als „Streber“ oder amerikanisiert als „nerd“ zu gelten. Hier, in diesem Kreis, entwickeln sich Gespräche, bei denen viele nicht den Eindruck haben, sich zurücknehmen zu müssen, sie vielleicht sogar mal die Erfahrung machen, auf Leute zu treffen, die ihnen nicht nur gewachsen sind, sondern sie sogar „in die Tasche stecken“. Das inspiriert, motiviert und weist auch Grenzen auf, die manche vorher in der Form nie erfahren haben. Nicht wenige fühlen sich dadurch (erstmals?) „normal“ und angenommen und vielleicht auch herausgefordert, ihre Grenzen auszutesten, zu überschreiten, sich weiter zu entwickeln. Die Einladung und Teilnahme an einer Auswahlsitzung ist bereits ein Privileg, das in vielen nachklingt, unabhängig davon, ob sie die Förderung erhalten oder nicht.
Die Auswahl erfolgt auf Basis von drei unabhängigen Bewertungen durch zufällig zugeloste Kommissionsmitglieder. Zwei müssen überzeugt werden, dass man die fünf Auswahlkriterien klar erfüllt: intellektuelle Fähigkeiten; Leistungsbereitschaft und Motivation; Kommunikations- und Artikulationsfähigkeit; soziale Kompetenz; Engagement und außerfachliches Interesse. Das Auswahlverfahren umfasst dabei zwei Einzelgespräche von etwa 30 bis 35 Minuten. Diese Kommissionsmitglieder haben im Vorfeld die jeweilige Bewerbung inklusive dem Schulgutachten intensiv studiert. Welche Aspekte angesprochen werden, ist sehr unterschiedlich. Worauf Wert gelegt wird, kann sehr personenabhängig sein. Erwartet wird weder reiner Idealismus, noch die absolute Selbstkasteiung. Eine kritische Reflexion des eigenen Handels wird positiv aufgenommen, gleichzeitig muss sie beim Gesprächspartner als authentisch ankommen. Die Ausführungen sollen analytisches Denken belegen und dabei flexible, kreative Sichtweisen dokumentieren. Selbstverständlich ist der Bewerber offen und leistungsbereit, dabei sensibel, ausdrucksstark und dialogfähig. Motiviert nimmt er oder sie Chancen wahr, die mit Ausdauer verantwortungsvoll verfolgt werden. Der Blick „über den Tellerrand“ versteht sich von selbst und Engagement steht außer Frage. – Kurzum das Verfahren ist nicht ohne Tücken. Mindestens einen der Gesprächspartner muss man auf einer Skala bis Zehn soweit überzeugt haben, dass wenigstens eine Acht dabei herauskommt. Sollte einer der Gesprächspartner an der Förderungswürdigkeit zweifeln, kann die Einschätzung der Performance in der Gruppenbeobachtung die Unterstützung noch sichern.
Die Gruppeneinschätzung basiert einerseits auf dem eigenen Vortrag inklusive der Moderation der dazugehörigen Diskussion und andererseits auf der aktiven und überzeugenden Teilnahme an den Debatten der Themen der anderen Gruppenteilnehmer. Eine Gruppendiskussion dauert 20 Minuten, davon sieben Minuten Impulsreferat mit Diskussionsfrage, gefolgt von dreizehn Minuten Diskussion, die idealerweise mit einem kurzem abschließenden Fazit des Vortragenden endet. Die Methode des betreuten Lesens ist dabei ausgeschlossen (sprich PPP). Der Fokus des beobachtenden Kommissionsmitglieds liegt beim Vortragenden, d.h. auf dem Thema, der Strukturierung, der Didaktik und dem Stil. Während der Gesprächsleistung wird die Moderationsleistung allgemein eingeschätzt sowie die soziale Kompetenz und Sensibilität. Aber auch die Diskussionsmitglieder werden bezogen auf die Qualität ihrer Beiträge und Argumentationen beurteilt. Gleichzeitig wird ebenfalls auf die soziale Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit und Sensibilität geachtet. Das Kommissionsmitglied, das sich die entscheidenden Notizen macht, muss in der Zeit ausgeblendet und idealerweise weitgehend ignoriert werden. Nach Möglichkeit sollte das vorgegebene Zeitmanagement beherrscht werden, ohne Hinweise seitens des Beobachters zu benötigen.
Der Zeitplan für die Kommissionsmitglieder ist extrem eng getaktet. In der Regel gibt es zwischen den einzelnen Gesprächen oder Diskussionen maximal fünf Minuten für den Beurteilenden für abschließende Notizen, mehr nicht. Verzögerungen sind nicht vorgesehen. Wenn ein Referent gar zu seiner Gruppendiskussion verspätet erscheint, wird diese Zeit entsprechend von seinem Impulsreferat abgezogen oder eine Runde fällt aus. Das hat Auswirkungen auf die Bepunktung. Und neben dem klaren Votum zweier Kommissionsmitglieder für die Aufnahme bei der Studienstiftung des deutschen Volkes durch mindestens acht Punkte wird zudem eine Mindestpunktzahl von 23 Punkten als Summe der drei Kommissionsmitgliedereinschätzungen erwartet, sodass ein Komplettausfall in einem der drei Bereiche zum k.o.-Kriterium werden kann.
Am ersten Dezemberwochenende dieses Jahres durfte ich in Lauenburg selber mit über die Auswahl der Studienstiftung des deutschen Volkes entscheiden. Für mich, die ich schon mehrfach Schulreferenzen für potenzielle Anwärter dieses prestigereichen Stipendiums verfasst habe, war es ein hochinteressanter Blick hinter die Kulissen.
In der ehrenamtlichen Kommission war ich die einzige in der achtköpfigen Gruppe, die nicht ein Alumni der Studienstiftung war, wobei manche auch erst im zweiten Anlauf die Förderung erhielten. Ich war eine von zwei Kommissionmitgliedern, die das erste Mal einer Auswahlkommission angehörten. Alle Kommissionsmitglieder hatten einen akademischen Hintergrund, einzelne hatten Doktortitel, andere standen in den Begriff ihn zu erwerben. Eine Voraussetzung ist er nicht, aber auch keine Seltenheit. Neben mir hatte nur noch ein Kollege einen schulischen Hintergrund; in seinem Fall vertrat er die Fächer Latein, Englisch und Griechisch. Ansonsten waren noch zwei Juristen dort, eine Medienwissenschaftlerin, eine Sprechwissenschaftlerin, ein BWLer und ein Psychologe, der für einen Ingenieurswissenschaftler eingesprungen war, der kurzfristig ausgefallen war. Die Seminarleitung seitens der Stiftung lag bei einem weiteren Historiker.
Einzelne der Kommission vertraten die irrige Annahme, in der Lage sein zu können, Hochbegabung in Gesprächen zu erkennen, aber gemein war allen, dass sie schnell erkannten, dass die Abiturnote alleine wenig über die intellektuelle Qualifikation der Nominierten aussagte. Aus den Bewerbern sollten die Besten ausgewählt werden, wobei theoretisch alle oder auch gar keiner hätte genommen werden können, wenn die erwarteten Ansprüche übertroffen oder nicht im Ansatz erfüllt wurden. Der Reifegrad konnte variieren, nicht zuletzt weil die jüngsten Bewerber noch unter 18 Jahren und die ältesten Ende 20 waren, da auch Abendgymnasien des zweiten Bildungswegs ihre Besten nominieren können. Erschreckend war es zu sehen, dass einzelne Bewerbungen extrem viele Rechtschreibfehler aufwiesen. Manchen hätte es gut getan, jemand Korrekturlesen zu lassen. Übrigens auch bei den Schulgutachten, wobei einige zudem unerwartet kurz und wenig aussagekräftig waren. Bestimmte Wettbewerbsteilnahmen (v.a. die eintägigen Veranstaltungen) und automatischen Auszeichnungen fachlicher Abiturauszeichnungen beeindrucken die Auswahlkommission nur wenig, da sie in diesem Kreis einfach zu häufig vorkommen. Das soll nicht heißen, dass sie nicht anzuführen sind, aber die Bewerber sollten sich ggf. auch schon beim Verfassen ihrer Bewerbung bewusst sein, dass diese Dinge sie im Kreise der Nominierten für ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes nicht besonders abheben. Anders sieht es bei Wettbewerbserfolgen aus, die eine längere Laufzeit hatten. Sie belegen Ausdauer. Auch ein Engagement im musikalischen und sportlichen Bereich kann überzeugen, vorausgesetzt, es erschöpft sich nicht im rein privaten Bereich.
Die Auswahl der Kommission kann letztlich nicht absolut und endgültig überzeugend sein. Bis zu einem gewissen Grad basiert sie auf einzelnen Momentaufnahmen. Die Einschätzungen sind von der Tagesform der Bewerber abhängig, die wiederum auch davon abhängen kann, wann sie ihre Gespräche und ihr Referat haben, ob sie die Möglichkeit haben, schon Erfahrungen und Eindrücke anderer zu erfragen und sich ggf. entsprechend vorzubereiten. Oder auch der Einstieg in ein Gespräch, der sogenannte „Eisbrecher“ kann greifen oder schlechtestenfalls den Nominierten für das ganze Gespräch aus dem Tritt bringen. Die Kommissionsmitglieder sind zufällig zugewiesen. Sie sind um Fairness und Vergleichbarkeit entsprechend der Vorgaben bemüht und auf verbreitete Beobachtungs- und Bewertungsfehler hingewiesen, wie ich aus eigener Erfahrung jetzt weiß, aber manche Kandidaten, denen ein Mitglied der Kommission vielleicht sogar eine Favoritenrolle zuweisen würde, mag es nicht schaffen, weil es in den zwei anderen Einschätzungen nicht ausgereicht hat, andere, denen man es gönnt, die aber kein klares Votum von einem selbst erhalten, mögen das Stipendium bekommen, weil sie es schafften in zwei Bewertungsbereichen zu begeistern.
So oder so ist die Einladung zu einer Auswahltagung bereits eine Auszeichnung! Eine erste Ablehnung kann in der Zukunft bei einer zweiten Bewerbung noch revidiert werden, wie die Lebensläufe einzelner meiner Kommissionsmitglieder beweisen, und letztlich gibt es auch noch mehr Stiftungen und Förderungen, wie ich aus meiner Biografie weiß. Mein Tipp für vorgeschlagene Abiturienten der Schule: Bereiten Sie sich sorgfältig vor, genießen Sie dann aber auch die Erfahrung und den Austausch mit anderen vor Ort. Bleiben Sie in all ihren Bemühungen authentisch und sollten Sie am Ende nicht eines der Stipendien erreichen, so wissen Sie aber, dass Sie bereits für die A-Klasse in Erwägung gezogen worden sind!

Puc


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